Push-Nachrichten und Großplakate hämmern es uns ein: die erste Staffel Barbaren startet bei Netflix. Da ich die „deutsche Antwort auf Vikings“ (Film.TV.de) besprechen soll, konnte ich die ersten Folgen vorab anschauen. Mit etwas Alkohol ging das dann auch. Diese dunkle Nacht in einem Keller mit Beamer im Teutoburger Wald trat ich mit einer großen Befürchtung an: Wie soll ich nacherzählen, ohne zu spoilern? Eine unbegründete Sorge, denn die Geschichte ist recht hölzern. So hölzern, dass selbst Elfjährige voraussehen werden, wie es in der nächsten Folge weitergeht.
Uns allen dürfte klar sein, dass die Serie wenig mit der Alltagsgeschichte der Zeitenwende zu tun hat. Mehr noch: Selbst dort, wo es leicht gewesen wäre, die simpelsten, völlig problemlos zugänglichen Erkenntnisse zur germanischen Sachkultur einzubauen, hat man dies unterlassen. Dabei hätte eine Orientierung an der Archäologie die Serie nicht langweiliger, sondern vielmehr abgefahrener gemacht. Man denke nur an die ausgefallene Kleidung der Oberschicht. Das hätte zum kommerziellen Erfolg beigetragen, worum es schließlich geht. Denn Geschichte ist die kostbarste Ressource für Netflix. Ein Stoff, der für diesen Markt leider viel zu billig zu haben ist.

Schon allein die Scheiterhaufen: Damit hätte man keinen Bratapfel durchgegart, geschweige denn eine Leiche kremiert. Oder die Johannisbeeren. Johannisbeeren! Der Film-Varus verspeist sie, obwohl Johannisbeeren erst in der Neuzeit kultiviert wurden. Sogar die steinzeitlichen Pfahlbauer, denen ansonsten keine Frucht zu sauer war, konnten dem Geschmack der undomestizierten ribes alpinum nichts abgewinnen. In den Pfahlbauerfäkalien finden sich alle möglichen Samen, aber keine Johannisbeeren. Und das, obwohl die Wildform vor allem in den Alpen wuchs, dem Einzugsgebiet der Uferrandsiedlungen. Bis zu den Römern hat sich diesbezüglich nichts verändert. Wirklich nicht eingehen möchte ich schließlich auf die Kleidung der Barbaren. Darüber hüllt man am besten den umgespritzten IKEA-Flokati des Schweigens. Während bei „Babylon Berlin“ großer Zirkus um jedes Achselhaar gemacht wird, scheint für die antike Sachkultur alles beliebig. Gibt es zwei Arten von Geschichte, eine echte und eine unechte? Für die bürgerliche politische Bildung die Moderne, in der penibel auf jedes Detail geachtet wird, und für das Prekariat die Frühgeschichte, in der man die von Forschung ungebremste tiefenpsychologische Sau rauslassen kann?
Ebenso könnte man natürlich auch an den Details von „Vikings“ herumnörgeln, was ja auch häufig geschah. Anscheinend möchte sich niemand die Wikinger als hellblau-rosa Fruchtzwerge vorstellen, wie sie etwa in den reichen Gräbern von Birka aufscheinen. Die Mischung aus Schlamm, Leder und Peter-Maffay-Optik ist einfach zu liebgewonnen.

Doch die Barbaren gehen tiefer. Zumindest in der ersten Staffel sind dort die Fronten klar: imperialistische Römer gegen indigene Germanen. Der Gegensatz wird beispielsweise dadurch verstärkt, dass die Römer Latein sprechen und die Barbaren Deutsch. Dass sich nach generationenlangem Kontakt beide Seiten gut gekannt haben müssen, wird weitgehend ausgeklammert. Die Sympathien sind dabei deutlich verteilt, die Unterdrückten sind die Germanen. Auf die Spitze getrieben wird die Opferrolle durch Kreuzigungen. In satter Golgatha-Bildsprache (schließlich spielt der Film ja ungefähr zeitgleich zur Passionsgeschichte) hängen in einer Schlüsselszene vier (nicht wie im Neuen Testament drei) Germanen am Kreuz. Das Kreuz ist ein weltweites Symbol für Leid und Opfer, aber auch für Erlösung. Selbst bei überschaubarem kulturgeschichtlichen Grundwissen wird beim Anschauen vage vorhersagbar, was nach dem Opfer unschuldiger Menschenleben kommen wird: die Erlösung der Volksgemeinschaft halt. „Vikings“ oder „The Last Kingdom“ lassen weitaus offener, wo die moralische Verantwortung für das kriegerische Schlamassel zu suchen ist.
Die „heidnischen“ Szenen dieser ersten Staffel verscheuchen diesen Eindruck nicht. Der barbarische Glaube scheint von der Zivilisation unbefleckt; Naturmenschen haben eben intuitiv Zugriff auf tiefschürfende Weltweisheit. In diesem Zusammenhang scheinen selbst Derbheit und Gewalt Zeugnis eines herzensreinen, unverkopften Charakters. Wird durch diesen Glauben – wie hier in der Serie – Herrschaft legitimiert, beziehungsweise schicksalhaftes Führertum herbeigeorakelt, beginnt der altdeutsche Volkshirsch zu wiehern.

Erzählt wird also die Geschichte des großen ethnischen Widerstandskampfes. Das ist in Zeiten des Rechtsrucks wohl das Einzige, was man sich in Mitteleuropa unter Revolte vorstellen kann. Man hätte auch die Geschichte des innerrömischen Konfliktes zwischen germanischen Auxiliareinheiten und der Legion erzählen können. So etwas wäre sicherlich näher an der Geschichte und überdies weniger muffig als das Wiederkäuen der nationalen Großerzählungen des 19. Jahrhunderts.

Glücklich vermieden worden wäre damit auch der dritte, Hermann und Thusnelda zugeordnete Held Folkwin Wolfsspeer. Was für ein Name! Hätte man in einer Satire über neurechte Befindlichkeiten einen solchen Personennamen erfunden, würden das alle als unappetitlich überzogen ansehen. Thusnelda geht es nicht viel besser. Sie bekommt den in der Zwischenzeit allgegenwärtigen Charakter der kämpfenden frühgeschichtlichen Frau ab. Das bringt mit dem Holzhammer Emanzipation in die Quote und macht die angestaubte Erzählung modern. Aber im Kern nimmt Thusnelda eine systemerhaltende Rolle in der patriarchalen Gesellschaft ein, indem sie noch härter als die Männer agiert. Eingangs bezeichnet sie etwa Folkwin als Weichei, weil dieser nicht entschieden genug gegen die Römer handelt. Hier wird lediglich das filmische Identifikationsschema der Tatort-Kommissarinnen, Fantasy-Kriegerinnen oder Vorabendserien-Handwerkerinnen abgerufen: Frauen in Männerberufen, aber ohne Anspruch auf grundsätzliche Veränderungen.

Fazit: Mit Barbaren soll als Heldentenor über die Bühne geschmettert werden, was die Varusschlachtfilme seit 1945 nur als Kammerspiel intonieren konnten. Netflix geht es dabei nicht um Politik, sondern um Quoten: Vikings lief gut, jetzt wird das Erfolgsschema in den einzelnen europäischen Ländern mit Lokalkolorit abgenudelt. Dass dabei die erzählerische Raffinesse auf der Strecke bleibt, ist egal. Ein Lokalkrimi mag ja auch schlechter sein als sein überregionales Vorbild. Er verkauft sich aber trotzdem, weil die Kundschaft sich in ihm wiederzuerkennen glaubt. Der Einfachheit halber werden dabei die altbekannten Erzählungen des 19. Jahrhunderts aufgewärmt. Aber vielleicht wird mit der nächsten Staffel ja alles besser.


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