Germanendarstellung im Nationalsozialismus
Dass völkische Ideen heute noch häufig so präsent bei den Vorstellungen zur Frühgeschichte sind, ist historisch begründet. Vor 1933 beschäftigten sich die unterschiedlichsten politischen Gruppen mit der Vorzeit, ihre Ansätze wurden jedoch spätestens in der NS-Zeit nachhaltig erstickt.
Ein Beispiel dafür ist das Germanengehöft Oerlinghausen. Gegründet wurde die Anlage als erstes germanisches Freilichtmuseum der Welt im Olympiajahr 1936. Der Museumsgründer Hermann Diekmann war allerdings in der Weimarer Zeit noch nicht grundsätzlich durch die völkische Bewegung geprägt. Als Lehrer für lernschwache Kinder kam er intensiv mit innovativen Unterrichtsmethoden in Kontakt und entwickelte diese weiter. Handwerksvorführungen, Schultheater oder der damals in der Provinz neuartige Sandtisch wurden zu festen Bestandteilen seines Unterrichts.

Wie in den Schulreformen der Weimarer Zeit festgeschrieben, nahm die Heimatkunde eine zentrale Rolle im Lehrplan ein. 1919 – 1920 gehörte Diekmann der wirtschaftsliberalen Deutschen Volkspartei an, er schrieb intensiv für sozialdemokratische und liberale Zeitungen. Dies änderte sich erst, als der Lehrer im März 1933 in die NSDAP eintrat und nahezu gleichzeitig zum Schulleiter aufrückte. Die NSDAP hatte in dem sozialdemokratisch-liberal geprägten Städtchen keine Strukturen aufbauen können, die stark genug für die Übernahme der Kommunalverwaltung durch lokale Aktivisten gewesen wären. Der neue Bürgermeister musste importiert werden. Als einer der wenigen vorzeigbaren Einheimischen in der NSDAP bekam Diekmann ein dominierendes Mandat in der entdemokratisierten Stadtverwaltung. Aus dieser Position heraus arbeitete er zielgerichtet auf die Errichtung eines germanischen Freilichtmuseums hin. Es sollte an seine Grabungen der Jahre 1926 bis 1931 erinnern, bei denen Brandgrubengräber aus der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und Architekturbefunde, die er pauschal ebenfalls in die »germanische« Epoche datierte, aufgedeckt wurden. Nach heutiger Einschätzung hatte er einen immer wieder aufgesuchten Siedlungsplatz mit starkem Fundniederschlag aus dem 8./9. nachchristlichen Jahrhundert erfasst. Dies war auch der damaligen Forschung bewusst, eine museale Umsetzung wurde deshalb lange Zeit abgelehnt. Erst 1935 ließ man im Rahmen der Planungen zur 900-Jahrfeier der Stadt Oerlinghausen die fachlichen Bedenken fallen.

Im Mai 1936 konnte dann die Anlage mit zwei Hausrekonstruktionen eröffnet werden.

Institutionell unterstützt wurde das Oerlinghauser Germanengehöft durch das Reichserziehungsministerium und durch den Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte Hans Reinerths. Der Reichserziehungsminister Bernhard Rust eröffnete die Anlage im Mai 1936 zusammen mit dem Gauleiter Alfred Meyer. abb. 23 Alfred Rosenberg als Vorgesetzter Reinerths kam im August 1937. Die Betreiber planten ab 1937 eine durch mittelsteinzeitliche und frühmittelalterliche Gebäude erweiterte Anlage zum zentralen Archäologiemuseum für den Gau Westfalen Nord auszubauen.
Präsentiert wurde damals ein radikal neues Germanenbild, das stärker an der Wissenschaft orientiert war, als das der Weimarer Republik. Dieser reklamierten Wissenschaftlichkeit stand die totale Ideologisierung der Inhalte gegenüber. Mehr als bei den später eröffneten vor- und frühgeschichtlichen NS-Freilichtanlagen in Lübeck (1936), auf der Mettnau bei Konstanz (1938) oder in der neuen jungsteinzeitlichen Abteilung des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen (1938 – 40) war man in Oerlinghausen auf Jugendliche als Zielgruppe orientiert.
Auch scheint das Vermittlungskonzept in Oerlinghausen umfassender ideologisch unterfüttert. Geliefert wurde ein ganzheitliches, weltanschaulich ausgefeiltes Germanenprogramm, das weit über die eigentliche Museumsarbeit hinausreichte. Es gab Germanentheater, Sonnwendfeiern und einen großen Umzug mit Geschichtsdarstellern zur Eröffnung. In die Vermittlung wurden Jugendromane und historische Erzählungen eingebettet. Derart programmatische Vermittlungskonzepte für Schule und Hitlerjugend sind in anderen nationalsozialistischen Freilichtanlagen in dieser Komplexität nicht nachgewiesen.
Der Lehrplan und das Angebot der NS-Jugendorganisationen wurden in Oerlinghausen im extremen Maß auf Vor- und Frühgeschichte ausgerichtet. Ausgrabungen und Prospektionen mit Jugendlichen fanden in enger Folge statt, Diekmann entwarf ein in einem Lehrmittelverlag publiziertes Konzept zum stufenweisen Erlernen der Vorgeschichte: Von der Schulgrabung über den gemeinsamen Bau von Hausmodellen im Bastelraum abb. 24 bis hin zur Dramapädagogik mit Schülern in prähistorischen Kostümen.

Die Schülerführungen im Germanengehöft waren gespickt mit fiktiven Erzählungen, beispielsweise mit Analogien zum Nibelungenlied oder zu skandinavischen Sagas. Das museumspädagogische Programm bot unterschiedliche Mitmachaktionen, so konnte man sich vor einen germanischen Pflug spannen lassen.

So gelang es zwischen 1933 und 1937 Beitrittsquoten zu NS-Jugendorganisationen zu generieren, die keine andere lippische Gemeinde erreichte. Aus einer der gegen den Nationalsozialismus resistentesten Kleinstädte Westfalens wurde dadurch eine Art Musterort. Die neue Freilichtpädagogik diente auf dem von Bernhard Rust eröffneten internationalen Freiluftschulkongress Bielefeld vom 18. – 23. Juli 1936 sogar als außenpolitisches Aushängeschild.
Im Germanengehöft wurden komplett eingerichtete Architekturinszenierungen geboten. Das bunte Patchwork der Ausstattungsgegenstände reichte innerhalb eines Raumes von der Bronzezeit bis zu neuzeitlichen volkskundlichen Analogien und sollte der Vermittlung eine überzeitliche Dimension verleihen: Präsentiert wurde das vermeintlich ewig Cheruskische in der Sachkultur, dem eine Tradition bis in die Moderne unterstellt wurde. Die konstruierte Kontinuität der Lebensformen über die Jahrtausende hinweg versicherte den Besuchern, dass das aktuelle gesellschaftliche Modell auch das richtige Modell ist.
Bildpolitik war während der kurzen Betriebszeit des Oerlinghauser Germanengehöfts zwischen 1936 und 1945 ein zentrales Thema. Mit Nachdruck kämpfte das Amt Rosenberg, die Dachorganisation des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte, um die Deutungshoheit über die im großen Stil verbreiteten Oerlinghauser Germanen-Bilder – insbesondere gegen das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda von Joseph Goebbels.

Am deutlichsten wurde das neue Germanenbild jedoch 1936 in dem Theaterstück Oerl Bark inszeniert, das die frisch errichteten Germanenhäuser als Kulisse nutzte. Bildhoheit über die Germanenkostüme hatte der Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte; die Schnittmuster griffen weitaus stärker als zuvor auf archäologische Befunde zurück. Dem Publikum wurde vermittelt, dass das präsentierte Germanenbild nun eine wissenschaftliche Basis habe. Im Schauspiel fällt die spätantike Entstehung des sächsischen »Stammes« mit der Gründung der Dorfschaft Oerlinghausen zusammen.
Realisiert wurde die Neuorganisation des Gemeinwesens durch den jugendlichen Sachsenführer Oerl Bark (Oerl steht für das so genannte Vorwerk Oerlinghausen, Bark für den Haupthof Barkhausen).

Als Schauplatz des Theaters diente das »authentische« ehemalige Grabungsgelände mit der in situ rekonstruierten Siedlung. Eingebunden wurde die komplette Fundtopographie der Umgebung: die Höhensiedlung Tönsberg, die Landwehren, die Gräberfelder. Eingebunden werden dabei auch Anspielungen auf die Gegenwart: Im Stück erinnert sich die germanische Elterngeneration an den »Verrat an Arminius« durch die eigenen Leute in einer Form, die 1936 sofort Erinnerungen an die Dolchstoßlegende abrief. Und die Schilderung des spätantiken Befestigungsgürtels am Rhein und an der Donau kann spiegelbildlich als Schilderung der Maginot-Linie und der Reparationszahlungen gelesen werden. Für die NS-Propaganda gelegen kam die Lage des Oerlinghauser Germanengehöftes mitten in einem Arbeiterviertel, das während der Weimarer Republik noch einen der höchsten SPD- und KPD-Stimmenanteile in Ostwestfalen aufwies. »Moabit« nannte man damals das von Pendlern nach Bielefeld geprägte Viertel, in dem die NSDAP bis 1933 keinen Fuß in die Tür bekommen konnte. Durch das Theaterstück wurde die Einbindung der ehemaligen Opposition in die neue Volksgemeinschaft nachgespielt. Diese Einbindung inkarniert im Hauptdarsteller, dem jugendlichen Sachsenführer Oerl Bark: Die Rolle übernahm der aus einer der bekanntesten Kommunistenfamilien Ostwestfalens stammende, sechzehnjährige Akteur. Symbolschwanger trat er mit roten Rosen auf, in seiner Geschichte klingt der Topos des verlorenen Sohns an. Für ein Publikum mit frischen Eindrücken an die in diesem Viertel besonders blutigen Kommunistenverfolgungen war klar, was hier gespielt wurde: Die Jugend hält im Gegensatz zu den Alten zusammen; interne Konflikte lösen sich in einer schollengebundenen, jungen, modern-antimodernen Gemeinschaft auf.
Ab 1944 finden sich im Besucherbuch auffällig häufig Einträge von SS-Mitgliedern, die meist aus weit entfernten Regionen Deutschlands stammen. Mit dem Ende des Krieges scheinen diese Besuche nicht abzubrechen. So musste der Zaun um die Anlage in den späten 1940er Jahren durch die Stadt mehrfach erneuert werden, da er immer wieder vom amerikanischen Militär auf der Jagd nach ehemaligen SS-Leuten eingerissen wurde. Schließlich wurden die Häuser stillschweigend auf Abbruch verkauft.
Bereits 1946 begann man, den Wiederaufbau des Germanengehöfts zu planen. Das erste Konzept zur Inneneinrichtung zeigte eine atemberaubende Kontinuität. Denn nur ein Detail änderte sich: Das Hakenkreuz auf einer Truhe wurde durch eine »Lebensrune« ersetzt.


In den 1950er-Jahren sollte sogar der alte NS-Bürgermeister wieder für den Planungsstab herangezogen werden, der aber aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr in Oerlinghausen aktiv werden wollte. 1961 konnte dann nach vielen Rückschlägen das neue Germanengehöft eröffnet werden. Die Kontinuitätslinien zur NS-Anlage waren so deutlich, dass sich die Medien international darüber entsetzten.

Ein Beispiel für die Doppeldeutigkeit in der Vermittlung ist ein Zeitungsartikel, der für die Museumsführungen verwendet werden sollte. Dort wird über den Tönsberg berichtet, eine vorgeschichtliche Höhensiedlung bei Oerlinghausen. Im Untertitel heißt es: »Hier brannten einst die Sonnwendfeuer der Germanen«.

Nun ist trotz intensiverer Grabungstätigkeit kein einziges großes vorgeschichtliches Feuer von dieser Höhensiedlung bekannt. Geschweige denn ein Sonnwendfeuer. Ein Blick auf die NS-Geschichte zeigt allerdings, dass dort eben der Autor des Artikels mit den NS-Jugendorganisationen die Sonnwendfeiern abgehalten hat.


1954, als der Zeitungsartikel gedruckt wurde, waren diese Feiern kaum ein Jahrzehnt vergangen. Der Großteil der Leserschaft wusste also Bescheid, worum es ging. Germanen scheinen hier als Platzhalter für das herzuhalten, worüber man nicht mehr schwärmen durfte: Den Nationalsozialismus. Solche Zweideutigkeiten gab es im Germanengehöft der 1960er-Jahre viele. Und andernorts gibt es sie heute noch, etwa im Menhir-Lied »Sonnenwende« von 1998. Dort heißt es: »Noch grüssen aus der Heldenzeit/uns Sonnwendfeuer mahnend herüber/doch im Geiste unseres Stammes lodert/die Lohe brennender Begeisterung.«
Man kann dies so sehen oder anders. Für die frühgeschichtlichen Thüringer gibt es keine Hinweise zu Sonnenwendfeiern. Wahrscheinlich waren sie bereits in der beschworenen merowingischen »Heldenzeit« brave Christen. Vieles, was man im Germanengehöft praktiziert hat, kommt auch bei einzelnen modernen Reenactmentgruppen vor: Rabiate Bildpolitik, versteckte Symbole, aktuelle politische Bezüge, die Vermittlung eines überzeitlichen Volkes, der hohe Stellenwert von Kampf und Jugendlichkeit.